Damals, als Satire noch lustig war

Vor 20 Jahren hab ich das noch lustig gefunden: Eine möglichst seltsame Geschichte so erzählen, dass Einfaltspinsel sie glauben. Nunja: Das Internet macht die Klugen klüger und die Dummen dümmer. Ich bin zum Glück klüger geworden.

Eine Verschwörungstheorie ist schnell gebastelt: Einen realen Hintergrund, den jeder versteht, ein paar halbverständliche Anknüpfungspunkte und etwas (technisches) Geschwurbel.

Um das Jahr 2000 herum hatte ich beim 3. Bier eine gute Idee: Ich mache eine Verschwörungstheorie, mit Website dazu. Ein 4… 5… Bier sinnieren darüber – und siehe da: Die gute Idee war auch am nächsten Morgen noch gut.

Erdstrahlen aus dem Internet, ein wortkräftiges Pamphlet darüber, wie wir alle durch im Boden vergrabene Kabel verrückt und willenlos gemacht werden.

Kurze Zeit später noch die Draufgabe: Chipkarten-Viren: wie uns Banken und sonstige Verbrecher zu willfährigen Konsumtrotteln machen, indem sie unsere Chipkarten mit Viren verseuchen.

Natürlich: frei erfundener Schwachsinn. Ich habe mich beim Schreiben und beim Zeichnen der Diagramme gekrümmt vor Lachen.

Die Sache kam sehr gut an: Viele Tausend Links und Erwähnungen brachten der Site einen PageRank 6 – also fast die Liga von orf.at oder Tageszeitungen. Besonders eine Empfehlung auf Heise.de kann einen kleinen Server zum Zusammenbruch bringen. ;)

Sehr häufig wurde die Site in Foren verlinkt, um die Einfältigen hinters Licht zu führen. Und tatsächlich: Es fanden sich immer wieder einige, die das alles glaubten, die entsetzt waren über diese „Wahrheit“, oder die es immer schon gewusst haben, was die Mächtigen mit uns treiben.

Anonymität

Vor 20 Jahren gab es natürlich schon allerhand seltsame Geschichten, aber es war noch nicht so, dass jeder irgendwas verbreiten konnte: Eine Website anonym zu erstellen war nicht ganz trivial und Social Media gabs noch nicht, schon gar nicht mit der Reichweite, die sie heute haben. Auf Druck von Anwälten musste ich die Inhalte stark entschärfen, wodurch der Pepp deutlich verloren ging.

Heute kann jeder völlig anonym irgendein Video oder einen Text machen und hochladen; ob ernst gemeint oder als Scherz, ohne sich Sorgen über Konsequenzen zu machen.

Wer weiß: Vielleicht zerkugelt sich „Q“ vor Lachen, genauso wie ich das vor 20 Jahren tat. Die Geschichte mit dem Adrenochrom im Keller von Pizzerien – das ist doch wirklich völlig gaga. Und es lässt sich immer weiter köcheln, noch kruder, noch eins drauf. Das Lachen nimmt kein Ende.

Mir ist das Lachen vergangen.

Lange hab ich meine kleine Erdstrahlen-Site komplett vom Netz genommen, derzeit ist sie wieder online, aber mit deutlichem Warnhinweis.

Warum Verschwörungstheorien so verbreitet sind

Nunja: Es ist einfach, sich so etwas auszudenken. Die Adrenochrom-Geschichte stammt aus einem verfilmten Buch, das „Q“ wohl gelesen bzw als Film gesehen hat. Vielleicht wohnt er neben einer Pizzaria, vielleicht hat er dort 3 Bier getrunken und hatte eine lustige Idee.

Es gibt 10000e krude Geschichten im Web, manche fallen auf fruchtbaren Boden, nur diese werden beachtet und wachsen - angereichert durch weitere Spassvögel.

Ich bin mir sicher, dass bei der Flat Earth Society die allermeisten wissen, dass die Erde eine Kugel ist, aber es macht einfach Spass, die Einfältigen zum Narren zu halten.

Dass solche Geschichten politisch initiert werden, glaube ich weniger. Es ist viel einfacher, sich anzuhängen und weiter zu erzählen. So hat zb Donald Trump nie behauptet, dass er Q-Anon glaubt, aber er hat wohl dafür gesorgt, dass diese Geschichte in seinem Sinn weiter erzählt wird.

Wie umgehen mit Verschörungstheoretikern?

Ehrlich: keine Ahnung. Mit Fakten kommt man nicht weiter, Fakten werden zerspradert in 1000e „Ja aber...“. Dass ein funk-fähiger Chip eine Batterie braucht und diese dauernd aufgeladen werden muss? - „Die Mächtigen halten uns diese Technik vor!“ Am besten gibt man gleich auf, bevor man sich vergisst, das schürt nur Hass und treibt die Leute noch weiter rein.

Mit der Zeit schrumpfen diese Blasen; die einen finden Freunde außerhalb, die anderen sterben weg, der Rest zieht sich auf ein einsames Haus in Holland zurück.

 

Die Site:
Dr. Gernot Hochbürder

(Ja, ich weiß: Ich sollte die Site mal herrichten, aber ich hab keine rechte Lust dazu)

 

 

 

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